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Montag, 12. Mai 2025
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Bremen, 8. Mai 1945
Heute vor achtzig Jahren war der Zweite Weltkrieg zu Ende. Vor vierzig Jahren sagte der Bundespräsident Richard von Weizsäcker in einer Feierstunde im Plenarsaal des Bundestags: Wir Deutsche begehen den Tag unter uns, und das ist notwendig. Wir müssen die Maßstäbe allein finden. Schonung unserer Gefühle durch uns selbst oder durch andere hilft nicht weiter. Wir brauchen und wir haben die Kraft, der Wahrheit so gut wir es können ins Auge zu sehen, ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit. Der 8. Mai ist für uns vor allem ein Tag der Erinnerung an das, was Menschen erleiden mußten. Er ist zugleich ein Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte. Je ehrlicher wir ihn begehen, desto freier sind wir, uns seinen Folgen verantwortlich zu stellen. Sie können die ganze Rede →hier lesen. Es lohnt sich auch nach viezig Jahren, das einmal zu tun.
1985 konnten sich viele, die die Schrecken des Krieges und der Verfolgung erfahren hatten, noch genau daran erinnern. Die Geschichten bleiben im Kopf. Wie meine Mutter ihre Schwiegermutter mit Gustav seinem kleinen Laster aus dem Feuersturm von Hamburg herausgeholt hat. Und die ist für die Heldentat ihrer Schwiegertochter gar nicht richtig dankbar gewesen und hat die ganze Autobahn bis Bremen lang nur geheult, wollte immer wieder zurück nach Hamburg. Nach dem, was davon übrig war. Man will immer zurück in die Heimat. Aber viele haben in diesen Tagen ihre Heimat und ihr Zuhause verloren. Viele Väter sind gefallen oder sind Kriegsversehrte wie mein Vater. Viele Familien beklagen Tote. Die erste Liebe meiner Mutter, ein Unteroffizier namens Hans Bünte, gefallen 1940 vor Rotterdam, ihr Cousin Hans vor Leningrad. Vatis Bruder irgendwo in Russland. Tante Margrets Neffe Georg, Hauptmann der Reserve, bei Tscherkassy, kurz nachdem er das Ritterkreuz gekriegt hatte. Omas junger Cousin Ludwig in Nordfinnland, Werners Bruder in Lyon. Sie liegen verstreut über Europa, die Familien wären glücklicher, wenn sie wüssten, wo die Gräber sind.Ein gewisser Björn Höcke war damals noch nicht geboren, er war zwölf Jahre alt, als Weizsäcker seine Rede hielt. Heute verkündet der vom Schuldienst beurlaubte Sportlehrer, dass Weizsäckers Rede zum 8. Mai 1945 eine Rede gegen das eigene Volk und nicht für das eigene Volk war. Er sprach in seiner →Rede auch von einer dämlichen Bewältigungspolitik, die uns heute angeblich lähmt. Und er hat auch noch gesagt: es sind nur willensstarke Menschen, die Geschichte schreiben, und das wollen wir tun. Liebe Freunde, die Bundespräsidenten dieser Republik, die haben keine Geschichte geschrieben, und sie haben sehr wenig bedeutsame Reden gehalten.
Als die →43. Wessex Division (die zum ✺XXX Corps von General Sir Brian Horrocks gehört) im April 1945 kommt, sind in Bremen alle Weserbrücken gesprengt. Die letzten beiden Brücken hat der Kampfkommandant am 25. April um 11.30 sprengen lassen. Den Tag davor hatte es noch zwei Luftangriffe gegeben. Das waren die Angriffe Nummer 172 und 173 auf die Stadt. Es waren die letzten in diesem Krieg. Am Nachmittag heulten die Luftschutzsirenen noch ein letztes Mal, das 1.233. Mal in diesem Krieg, aber es hatte keinen Angriff mehr gegeben. Als die Große Weserbrücke (die damals Lüderitzbrücke hieß) und die Kaiserbrücke gesprengt werden, hat die 52. Lowland Division schon Hemelingen erreicht und steht da, wo die Borgward Werke sind (wo heute das Daimler Benz Werk ist).
Ich besitze eine Zeichnung von dem Bremer Maler Emil Mrowetz, die er einmal meinem Vater geschenkt hat. Sie ist signiert Zerstörte alte Weserbrücke 1945. Nur das Brückenportal mit den beiden Löwen, die das Bremer Stadtwappen halten, ist unversehrt. Dahinter sind nur noch von den Explosionen der Sprengung aufgebogene Stahlträger zu sehen. Aber die Alte Weserbrücke interessiert den Generalleutnant Brian Horrocks (der in dem Film ✺A Bridge too Far von Edward Fox gespielt wird) wenig. Die Engländer sind schon längst in Hoya über die Weser gekommen, also da unten, wo ich mit der Bundeswehr zwanzig Jahre später Weserübergänge üben darf. Seit Karl dem Großen sind Weserübergänge für Armeen nicht aus der Mode gekommen.
Zum ersten Mal seit der General Tettenborn Bremen von den Franzosen befreit hat, sind wieder fremde Soldaten auf Bremer Boden. Der Kampfkommandant von Bremen ist in den letzten Kriegswochen ein Generalleutnant namens Fritz Becker, der unter extremem Wirklichkeitsverlust leidet. Er will in seinem Hauptquartier im Haus des Werftdirektors Franz Stapelfeldt (Parkallee 95) Bremen bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone verteidigen. Das hatte der Gauleiter Paul Wegener befohlen, aber der hat sich schon nach Flensburg zu Dönitz abgesetzt. Militär und Nazis sitzen in Bremens feinster Gegend. Das vornehme Schwachhausen ist kaum bombardiert worden. Den Bomben zum Opfer fallen die Arbeiterviertel neben den Werften an der Weser. Von dem Haus in Walle, wo mein Vater und Oma vor dem Krieg gewohnt haben, ist bis auf die Grundmauern nichts übrig geblieben.
Währenddessen radeln Bremer Senatoren mit dem Fahrrad den Engländern entgegen, um die Übergabe der Stadt vorzubereiten. Die Ecke beim Bunker, wo der Bürgerpark an den Stern und die Hollerallee angrenzt, haben die ersten englischen Truppen von der Somerset Light Infantry den Hyde Park Corner genannt. Der Stellvertreter Beckers, ein Generalmajor Werner Siber, der im Bunker gegenüber der Benquestraße sitzt, ergibt sich als erster mit seinem Stab (zwei Fußballmannschaften stark) den Engländern. Der Boden des kleinen Bunkerraums, in dem sie hocken, ist übersät mit leeren Sektflaschen.
Es bleibt ihm dann aber nichts anderes übrig, als sich zu ergeben. Am frühen Morgen des 27. April holt ihn das Wiltshire Regiment aus seinem Bunker. General Fritz Becker wird sich mit dem Hitlergruss in die englische Gefangenschaft verabschieden. Kein Stil. Kein Bremer. Wie die Bundeswehr 1967 auf die bescheuerte Idee kommen konnte, diesem Mann ein Ehrenbegräbnis auszurichten, kann ich bis heute nicht verstehen. Aber es ist die Zeit, in der sich die Armee mit einem konservativen backlash von Baudissins Idealen der Inneren Führung verabschiedet. Der General Brian Horrocks wird in Bremen zum ersten Mal einen Eindruck davon bekommen, welche →Auswirkungen die 173 Bombenangriffe der Alliierten gehabt haben. Dass das Ergebnis so fürchterlich aussieht, hat er sich nicht vorstellen können. Harry Ditton, der britische Korrespondent der →News of the World, schrieb in seinem Bericht vom 29. April 1945: Bremen war und ist verschieden von allen anderen deutschen Städten, die wir eingenommen haben. Sein Todeskampf war viel schwerer. Es hatte sich entschieden, sich gegen sein Schicksal zu wehren.
Horrocks' Mitleid hält sich allerdings in Grenzen, wenn er drei Tage später bei der Befreiung des Kriegsgefangenenlagers Sandbostel nördlich von Bremen auf KZ-ähnliche Verhältnisse trifft. Die englische Armee befreit beinahe 50.000 halbverhungerte Gefangene. Nach ✺Sandbostel waren im April auch Häftlinge aus dem →KZ-Außenlager Farge, die dort den U-Boot Bunker und beim Bremer Vulkan die U-Boote bauten, gebracht worden. Von den etwa 9.000 Häftlingen, die Sandbostel erreichten, starben bis zur Befreiung des Lagers etwa 3.000 an Unterernährung, Krankheiten und Erschießungen durch die SS.
Da man für den Ausflug von Horrocks keine englische Kriegsflagge auftreiben konnte, geschah das Ganze unter deutscher Flagge. Die letzte Aktion der deutschen Kriegsmarine. Und dann muss sich der deutsche Kapitänleutnant noch von einem englischen General sagen lassen, dass die vier Begleitboote keine exakte Formation halten könnten (auf der Rückfahrt konnten sie es). Nach dieser letzten Fahrt unter deutscher Flagge durfte die deutsche Marine Minen räumen. Da hatten sie zwar englische Flaggen, durften aber noch ihre alten blauen Marineuniformen tragen. Allerdings ohne das Hakenkreuz.
Alles um Bremen herum war unter englischer Verwaltung und hieß jetzt Britisch Niedersachsen (Autonummer BN). Also Lemwerder zum Beispiel, wo die Yachtwerft von Abeking & Rasmussen war. Als ein amerikanischer Offizier, der begeisterter Segler war, 1945 entdeckte, was da auf der anderen Weserseite war, hat er die ganze Werft erstmal mit Off Limits und Out of Bounds Schildern zugepflastert. Und alle Yachten für recreational purposes beschlagnahmt. Die Engländer, die das gleiche vorhatten, kamen einen Tag zu spät. Die hatten natürlich auch jemanden, der ein Exemplar von Uffa Fox’ Buch über Segelboote besaß. Die Amerikaner werden übrigens eines Tages alle beschlagnahmten Boote zurückgeben. Bis auf eins. Angeblich von Engländern geklaut.
Obgleich die Engländer eigentlich schon genügend Segelboote besaßen. General Horrocks hatte nämlich bemerkt, dass alle Segelyachtbesitzer ihre Boote in den kleinen Nebenflüssen der Weser versteckt hatten, die jetzt alle unter englisches Hoheitsgebiet fielen. Er hat alle requiriert, die Hälfte davon musste er allerdings willy nilly später an die Royal Navy abgeben. Die wollten auch segeln. In Kiel war das ähnlich, die Engländer richteten im Kieler Yacht Club ihre erste Kommandantur ein und tauften den Club in British Kiel Yacht Club um, und beschlagnahmten alle Segelyachten. Hermann Görings Yacht Flamingo (auch bei Abeking & Rasmussen gebaut) werden sie erst 2016 bei ihrem Abzug von der Förde zurückgeben.
Am 8. Mai 1945 ist der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen. Für den Bremer Lokalhistoriker Herbert Schwarzwälder ist das in einem Ausblick betitelten Kapitel seiner vierbändigen Geschichte der Freien Hansestadt Bremen keine Befreiung gewesen. Bei aller Faktenhuberei, die sein Werk charakterisiert, ist sein Band IV Bremen in der NS-Zeit (1933-1945) doch eine zweifelhafte und letztlich klägliche Sache. Sehr viel besser ist da das Buch Bremen im Dritten Reich: Anpassung - Widerstand - Verfolgung von →Inge Marßolek und René Ott. Keine Geschichte der Gauleiter wie bei Schwarzwälder, sondern eine Geschichte von unten. Die Historiker haben es versäumt, rechtzeitig alles aufzuschreiben. So in der Art von Tom Harrissons Mass Observation in England.
Meine Jugend war das Nachkriegsdeutschland, waren Ruinen, gerettete Photoalben und viele Erzählungen. Alle erzählten vom Krieg. Wenige von der Zeit vorher. Was wäre das für ein Material gewesen, wenn ein Historiker das damals aufgeschrieben hätte! Später in der Oberschule hatte dieser Krieg, dessen Auswirkungen wir alle noch kannten, beinahe nicht stattgefunden. Da gab es den Punischen Krieg, da lasen wir Caesars De Bello Gallico, aber das Kriegsende in Bremen war kein Thema des Unterrichts. Viele Lehrer erzählten uns in den fünfziger Jahren ihren Krieg, sie mussten den Schrecken abarbeiten, dem sie in ihren besten Jahren ausgeliefert waren. Aber niemand sprach von den siebzigtausend Zwangsarbeitern, die die →U-Boote beim Bremer Vulkan und den U-Boot Bunker in Farge gebaut hatten, die an Unterernährung, Entkräftung und Misshandlung gestorben waren. In einem kleinen Birkenwäldchen bei Eggestedt, das wie eine Landzunge in die Äcker hineinreichte, sind manche von ihnen beinahe anonym begraben. Mit Grabkreuzen in kyrillischer Schrift. Die Geschichte ist nicht nur in Büchern zu finden, sie schreibt sich auch in die Natur ein. Da ist sie nur schwer zu lesen.
Meine Cousine Hannelore hat mir vor Jahren ein kleines Büchlein geschenkt, wofür ich ihr ewig dankbar bin. Es heißt Kriegsende 1945: Vegesack und umzu und enthält Erinnerungen, die von den Bewohnern des Ortes aufgeschrieben worden waren. Ich habe beinahe alle, die hier schrieben, noch gekannt. Manches davon kann man nicht glauben, weil es nicht wahr ist. Wie zum Beispiel der Direktor des Bremer Vulkans, der vormalige Wehrwirtschaftsführer Robert Kabelac, der sich hier persilrein wäscht. Aber das meiste ist völlig ehrlich. Unverfälscht und unredigiert, so wie jeder dachte und es erlebt hatte. Ich wollte, es gäbe mehr von solchen Büchern. Man wünschte sich auch im Internet mehr solcher Texte wie diesen →hier oder →diesen. Aber stattdessen findet man im Internet den Krieg, das Militär und die Nazis verherrlichende Seiten bis zum Abwinken. Was Walter Kempowski mit seinem Echolot angestoßen hat, war schon die richtige Idee. Was →Guido Knopp im ZDF serviert hat, sicherlich die falsche. Es ist neuerdings chic geworden, von Erinnerungskultur zu reden. Ich finde das ein fürchterliches Wort. Wir sollten einfach nicht vergessen. Punkt, Ausrufezeichen. Oder, wie es in Kiplings Recessional heißt: Lord God of Hosts, be with us yet, Lest we forget—lest we forget!
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