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Donnerstag, 22. Februar 2024

Photos, ungeordnet


Ich ging mit meinem Opa den Weg zum Weyerberg hinauf, links von uns in dem kleinen Wäldchen war ein Mann mit einer Baskenmütze bei der Gartenarbeit. Das ist Hans Saebens, sagte mein Opa. Musste ich den kennen? Ich fragte Opa, wer Hans Saebens sei. Ein berühmter Photograph, sagte er. Ich hatte noch nie von ihm gehört, ich war ja noch jung. Aber zehn Jahre später, als ich zu photographieren begann, da kannte ich seine Bilder. Jetzt habe ich mehrere Bücher über ihn. Das war noch alles Schwarzweiß Photographie, mit kleiner Blende photographiert, knallscharf. 

Und mit viel Gelbfilter, damit die Wolken so schön herauskamen. 13 DIN Film und mit Neofin Blau entwickelt. Den Horizont tiefgelegt wie die Holländer; er wusste, wie man es macht, er hatte ja als Landschaftsmaler in Worpswede angefangen: Es gelingt ihm, das Charakteristische der norddeutschen Tiefebene in dramatischen, stimmungsvollen Aufnahmen festzuhalten. Das weite Land und die mächtigen Wolkenzusammenballungen werden in deutlich voneinander abgegrenzten hellen und dunklen Bildzonen festgehalten. Vor allem seine späten Aufnahmen sind durch Sparsamkeit der Ausdrucksmittel und strenge Komposition gekennzeichnet.

Er war durch Zufall zur Photographie gekommen, hatte sich 1930 eine Leica gekauft. Er photographierte nicht nur Worpswede, er photographierte sich auch durch ganz Bremen. Das Focke Museum besitzt 26.000 Photos von ihm. Zu seinem sechzigsten Todestag zeigte das Museum die Ausstellung Bilder für Bremen 1930-1959. Dies Bild vom nächtlichen Herdentorsteinweg ist eins davon. Dreißig Jahre zuvor hat es in der Bremer Landesbildstelle die Ausstellung Hans Saebens Photographien 1930-1959 gegeben. Bei booklooker will ein Händler 390 Euro für den Katalog haben, da bin froh, dass ich den besitze.

Photobücher sind teuer geworden, noch teurer sind Originalabzüge eines Photos. Zum Beispiel einer der 1.300 Abzüge, die Ansel Adams von seinem Moonrise, Hernandez, New Mexico gemacht hat. Der teuerste Abzug brachte vor Jahren bei Sotheby's 685.000 Dollar. Die Reproduktion, die in meinem Flur hängt, hat auch schon Geld gekostet. Im Shop der Familie von Ansel Adams, die seine Bilder vermarktet, kostet das Bild zweihundert Dollar. Es gibt nur ein einziges Negativ von dem Bild, Adams hat die Abzüge im Labor immer wieder verändert: Attempting to convey the intensity of his experience watching the moon rise over this austere landscape, Adams progressively increased the contrast in the prints, heightening the moon’s whiteness and deepening the sky’s darkness, steht auf der Seite des MoMa. Der erste Abzug hat wahrscheinlich so ausgesehen wie auf dem linken Bild.

Ich besitze nur ein einziges Photo, das von einem Photographen signiert ist, und das sieht so ähnlich aus wie diese Postkarte hier. Bei mir ist nur noch ein großer Frachter in der Bildmitte. Der Photograph muss für dieses Bild der Weser bei Vegesack auf die Balustrade vor der Villa Fritze geklettert sein, um diesen Blick über den Stadtgarten auf die Weser präsentieren zu können. Mein Bild ist 27 x 39 cm groß, es ist unten rechts signiert Erich Maack. Der ist auch der Photograph der Postkarte, die er in seinem Laden unter dem Titel Vegesack, die Stadt am hohen Ufer verkaufte. Das Bild hat mich gerahmt bei einem Hinterhofhöker zehn Mark gekostet; wie es dahin gekommen war, weiß ich nicht.

Dieses Bild konnte man 1940 auch bei Maack als Postkarte kaufen, es zeigt das Rathaus von Aumund. Das Haus kenne ich, weil ich da meinen Führerschein abgeholt habe, damals war das Straßenverkehrsamt in dem Gebäude. Was ich allerdings nicht wußte, und was wohl in den sechziger Jahren wenige wußten, war die Tatsache, dass diese 1860 erbaute ehemalige Villa der Reederfamilie Lange in den vierziger Jahren der Sitz der Gestapo war. Wahrscheinlich wußte das Erich Maack auch nicht.

Was Erich Maack normalerweise photographierte, also neben Konfirmations- und Paßbildern (und dem Portrait meiner Mutter im Abendkleid mit Silberfuchsstola), waren die Schiffe des Bremer Vulkan und der Lürssen Werft. Fünfzehntausend Photos vom Vulkan sind im Bremer Staatsarchiv archiviert, die Lürssen Werft, für die er 4.500 Bilder gemacht hat, hat heute ihr eigenes Archiv. 

Wer Erich Maack war und was er machte, das wußte ich schon, als ich jung war. Auch wenn ich damals noch nicht wußte, wer Hans Saebens war. Ich war mit Erich Maacks Tochter Annegret in der Volksschule in einer Klasse. Sie ist in diesem Blog schon an zwei Stellen aufgetaucht. Dass sie so schön singen konnte, steht in dem Post Ingeburg Thomsen, und in dem Post Hafenrundfahrt kann man sie auf einem Photo sehen. Sie ist die kleine mit dem Pagenkopf rechts neben der großen blonden Gabi. In dem Post Photographieren steht viel über das Photogeschäft, das Erich Maacks Vater Fritz Maack dem Photographen Gustav Dähn 1932 abgekauft hatte. 1992 hatte Erich Maack das Geschäft seinem Sohn Dieter übergeben; der Dieter ist gerade im Alter von einundachtzig Jahren gestorben, und damit hat die Photographie in Vegesack nach neunzig Jahren ein Ende gefunden. Heute knipst ja jeder mit dem Handy. Der Bremer Vulkan braucht keinen Photographen mehr, die Werft gibt es nicht mehr.

Das Photographieren gehörte in den fünfziger Jahren zu unserem Leben, also bevor wir entdeckten, dass es auch Frauen und französische Filme gab. Ekke und ich hatten ein kleines Photolabor in den Häusern unserer Eltern, Peter war der erste, der eine Spiegelreflex Kamera besaß, Gert hatte von seinen Eltern eine alte Leica geschenkt bekommen. Manche von uns wurden Photographen, wie meine Klassenkameraden Bernd Wurthmann und Eberhard Petzold. Der Eberhard photographiert Schiffe und hat damit großen Erfolg. Also, er photographiert nicht nur Schiffe, wie Erich Maack oder Hans Saebens (der hier einen Neubau auf dem Vulkan photographiert hat) das getan haben. Das hätte er er auch vom Schönebecker Sand aus tun können. Es geht ihm um die Darstellung der weltweiten Schiffahrt, dafür ist er auch jahrelang auf Handelsschiffen mitgefahren. 

Die Monika, die dieses Photo von der Gudrun gemacht hat (und auch das Photo von mir in dem Post Ziggis), wollte eigentlich Photographin werden. Sie hatte eine tolle Photoausrüstung, dies Bild hier ist mit einer Rolleiflex gemacht worden. Mone hat eine Ausbildung als Photographin gemacht, hat es sich dann aber anders überlegt, hat Kunstgeschichte studiert und bei Erich Hubala promoviert. Den kenne ich, weil er einer meiner Prüfer im Fach Kunstgeschichte war. Er taucht auch noch ohne Namensnennung gleich am Anfang von dem Post Palladio auf.

Wer dieses Bild gemacht hat, weiß ich nicht, aber ich weiß, wer die Frau auf dem Bild ist. Und dass das Wort Danger etwas mit ihr zu tun hat. Die Mone hat eine Vielzahl von Bildern von Gudrun gemacht, ich habe von beinahe allen einen Abzug. Die Aneignung von Bildern ist wie die Aneignung einer Person, da bin ich wie Proust mit seiner Liebe zu Photographien. Ich habe der Gu damals gesagt, dass sie ohne Frage ein Model werden könnte. Vielleicht für die Firma Marimekko, deren Kleider sie so gerne trug. Das Bild in dem Absatz da oben, wo sie mit dem weißen Regenmantel vor der Strandlust steht, gefällt mir am besten. Außer den Bildern, die Mone in Dänemark von uns gemacht habe. Wenn ich einen Scanner hätte, dann könnte man jetzt hier das Bild von Gudrun im Bikini in den Dünen von Hennestrand sehen.

Statt des Bikinibilds habe ich an dieser Stelle ein ganz anderes Bild von ihr, und ich muss dazu vorweg sagen: das ist richtige Kunst. Auch wenn es nicht so aussieht. Es ist ein Unikat von einem amerikanischen Professor für Photographie namens David Van Allen. Der hatte zuvor eigentlich normale Portraits mit seiner Nikon geknipst, aber dann wurde er von den multiple images von David Hockey beeinflusst: I encountered the photographic work of the English painter, David Hockney, in the 1980’s and started experimenting with multiple images fragments to create an image that possessed a larger, more humanly perceptible sense of time and space. Auf seiner Homepage können wir lesen: I make life-size, film-based, multiple-image, photographic portraits. Several moments in time and several points of view are incorporated into the creation of one of these portraits. They take a couple of months to assemble and cost between $1.000 and $3.000. Für diese Gudrun will er fünftausend Dollar haben.

Hier hat er sie noch einmal photographiert, das steht sie rank und schlank neben der Collage; sie ist fünfundfünzig Jahre alt, sieht aber jünger aus, forever young. Wenn Sie auf dieser Seite mit dem Scanner über die Figur gehen, können Sie sehen, wie das Ganze zusammengesetzt ist. Ich mag die wirkliche Frau lieber als das multiple-image, photographic portrait. Ich frage mich nur, warum will er es verkaufen? 

Als er das seltsame Photo machte, hatte er eine Affaire mit seinem Modell, aus der für Jahre eine long distance relationship wurde, sie in Mexico, er in Iowa. Nach ihrem Tod hat er mir geschrieben: Even though we split up, I was still very fond of her and her death was a big assault to my heart. Er hat dann noch eine Adresse beigefügt, wo man seine ganzen Collagen bewundern konnte. Und eine Preisliste. Aber für diese Art der Photographie würde ich kein Geld ausgeben. Für einen Handabzug von Moonrise, Hernandez, New Mexico schon. Und ich habe die Gudrun lieber so wie auf diesem Photo.

Samstag, 3. Februar 2024

drei Ecken, ein Elfer


Wir spielten noch in der Dämmerung. Hätten wir nicht zum Abendessen zu Hause sein müssen, wir hätten noch gespielt, bis es ganz dunkel wurde, bis man den Wasserturm nicht mehr sehen konnte. Und wir hätten wahrscheinlich in der Dunkelheit noch das Tor getroffen. Das Tor war kein richtiges Fußballtor, die Pfosten waren der Baum in der Mitte des Sedanplatzes und ein Haufen von Jacken und Pullovern. Wir waren in der Volksschule, die dank der amerikanischen Besatzer damals sechs Jahre dauerte. 

Der Begriff Straßenfußballer war noch nicht gebräuchlich, aber das waren wir, Straßenfußballer. Unser Leben fand in der Nachkriegszeit sowieso auf der Straße statt. Meine besten Freunde waren Arbeiterkinder, die waren die besten Fußballer. Die wurden immer zuerst gewählt, wenn die Mannschaften verteilt wurden. Ich nur ganz zum Schluss. Dabei trainierte ich Dribbeln im Keller, weil ich im Dribbeln so gut wie Stanley Matthews oder als Verteidiger so gut wie „Sense“ Ackerschott von Werder Bremen sein wollte. 

Am Wochenende nahm mich mein Vater mit nach Bremen zum BSV, bei dem er vor dem Krieg mal in einer Amateurmannschaft gespielt hatte. Als die trotz ihres hervorragenden Torhüters Hans Stephan abstiegen, gingen wir zu Werder ins Weserstadion, die mit Dragomir Ilic einen noch besseren Torwart hatten. Aber in der Woche hieß unsere Welt Sedanplatz, auf dem damals noch keine Autos parkten. Echte Spielfeldgrenzen gab es nicht, doch die Regel „Drei Ecken, ein Elfer“ galt immer. Der Baum in der Mitte des Platzes war kein einfacher Baum. Es war eine deutsche Eiche aus Bismarcks Sachsenwald, die die Sedaneiche hieß. 

Sedan war ein Wort, das großartig klang, das für meinen Opa etwas bedeutete. Obgleich er erst elf Jahre nach der Schlacht geboren wurde, klang der Deutsch-Französische Krieg in seinen Erzählungen immer so, als sei er dabei gewesen. Und sein ewiges Metz, Toul und Verdun habe ich heute immer noch im Kopf. Der Krieg, bei dem er dabei gewesen war, kam erst später. In der ersten Flandernschlacht erhielt der Hauptmann der Reserve aus Vegesack sein Eisernes Kreuz. Eine Sedaneiche gibt es in manchen deutschen Städten heute immer noch. Und man kann sie im Baumarkt kaufen, da bezeichnet Sedaneiche allerdings einen Laminatfußboden.

Im Gegensatz zu der angeblichen Großartigkeit der Schlacht machte der Platz nichts her. Einmal in der Woche Wochenmarkt, einmal im Jahr Vegesacker Markt. Vorne war die Gerhard-Rohlfs-Straße, die damals noch die Bundestraße 75 war. Der Fernverkehr rauschte ungehindert durch den Ort. Ampeln gab es nicht, nur bei Többens war ein Zebrastreifen. Dass Walter Caspar Többens ein (später als „Mitläufer“ eingestufter) Kriegsverbrecher war, wussten wir damals nicht. Gegenüber dem Geburtshaus von Gerhard Rohlfs war eine Bushaltestelle der BVG. Daneben war Scheffels Würstchenbude, deren Bratwurst gut war, aber nie so gut wie die bei Könecke in Bremen. Neben Scheffel war ein kleiner Kiosk, wo man Zeitungen und „Prickel Pit“ kaufen konnte, da holte ich immer für Opa seine Stumpen und die Jerry-Cotton-Hefte, die er im Alter leidenschaftlich gerne las. Weshalb weiß ich nicht. Als Kind versteht man die Erwachsenen sowieso nicht.

Am Ende des Platzes war die Reeperbahn der Seilerei Georg Gleistein. Ein trister grauer Bau, der sich beinahe vierhundert Meter lang bis zum Fährgrund hinunterzog. Dahinter lag Aumund, das war ein anderer Ort. Vegesacker gingen nie nach Aumund, wir Kinder erst recht nicht. Die Straße mit der grauen Mauer der Reepschlägerbahn taucht manchmal noch in meinen Träumen auf, je älter man wird, desto mehr träumt man von der Kindheit. Ich bekam vor Wochen ein Foto vom Sedanplatz zugeschickt, wie er heute aussieht. Ich weiß schon, wie wahr der Romantitel You Can’t Go Home Again von Thomas Wolfe ist, ich hätte das Bild nicht gebraucht.

Photos, ungeordnet

Ich ging mit meinem Opa den Weg zum  Weyerberg  hinauf, links von uns in dem kleinen Wäldchen war ein Mann mit einer Baskenmütze bei der Gar...