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Montag, 17. Februar 2025

Bremen wes bedächtig

Man schnappt Sprüche und Sätze auf, wenn man jung ist. Und behält sie fürs Leben. Was'n in Bremen so sacht un wo ein fein auf hören muß. Der Satz könnte von mir sein, ist aber schon ein Buchtitel. Ich meine jetzt nicht Sätze wie Ischa Freimaak oder Roland mit de spitze Knee, seg mal, deit di dat nich weh? Ich meine Bedeutungsschweres wie Buten un binnen, Wagen un Winnen und diesen Satz, der mit Bremen wes bedächtig anfängt. Den Roland, der hier schon den kulturhistorischen Post Charlemagne hat, lassen wir jetzt mal weg. Beim Freimarkt bekommt der regelmässig ein Lebkuchenherz mit Ischa Freimaak verpasst. Den Satz Buten un binnen, Wagen un Winnen hat der Bürgermeister Otto Gildemeister gedichtet, das steht seit 1899 auf einer Tafel am Schütting, dem Sitz der Kaufmannschaft.

Aber was bedeutet dieser Satz Bremen wes bedechtich, lat nich mer in, du seist ihrer mechtich? Wen soll man nicht in die Stadt lassen? Sind das Zuzugsrechte? Ausländer raus? Der Satz ist alt, ganz alt. Wir müssen einige Jahrhunderte zurückgehen, um ihn zu verstehen. Zurück ins 16. Jahrhundert. Der Satz hat etwas mit Holland zu tun, das 1526 der größte Handelspartner Bremens ist. Aber aus Holland kommen nicht nur Waren in die Hansestadt, aus Holland kommt auch Heinrich von Zütphen, der die Reformation nach Bremen bringt. Nachdem er auf der Durchreise in Bremen eine Predigt gehalten hat, lädt man ihn ein, in Bremen zu bleiben. Man weiß nicht mehr, was er predigte, aber man kennt das Datum: es war der 9. November 1522. Wieder einmal so ein Schicksalstag dieser 9. November. Zütphen zieht nach einiger Zeit weiter und wird in Holstein ermordet. Aber die Reformation ist da und mit ihr die Glaubenskämpfe zwischen Lutheranern und Reformierten, die sich gegenseitig aus der Stadt vertreiben wollen. Es ist wieder ein Holländer namens Albert Rizäus Hardenberg, der Domprediger wird und den Rat spalten wird. Einen Bildersturm haben wir auch gehabt, dafür wird Christoph Pezel sorgen. Der ehemalige Direktor des Focke Museums und Bremer Landesdenkmalpfleger Werner Kloos führt das Kunstbanausentum der Bremer auf den Bildersturm von Pezel zurück: Die Verarmung des bremischen Kunstbesitzes rührt aus jener Zeit, jedoch auch eine gewisse allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber den Werten künstlerischer Aussage.  Zu diesem Thema steht schon viel in dem Post Bremer Klausel. Es ist ein religiöser Kampf, der erbittert geführt wird, Bremen wird deshalb auch aus der Hanse ausgeschlossen. Die Formen, die der Kampf in Münster annahm, wo man die Leichen der Wiedertäufer Jan van LeidenBernd Knipperdolling und Bernd Krechting am Turm von St. Lamberti aufhängte, hat er in Bremen aber nicht angenommen.

Der Satz, dass Bremen bedächtig sein soll, steht auf einem Wappenstein aus dem Jahre 1562, den der Bremer Bürgermeister Daniel von Büren, der in Wittenberg bei Martin Luther und Philipp Melanchthon studiert hatte, am Herdentor hat setzen lassen. Es ist ein fremdenfeindlicher Stein.1562 haben die Reformierten gesiegt. Diese Stein sagt auf gehässige Weise den Lutheranern Tschüss. Ein großer Teil der lutherischen Ratsmitglieder, fünf Pfarrer und drei Bürgermeister verließen die Stadt, vermoegende und ansehenliche luide. Durch die diplomatischen Bemühungen von Bürens kommen die vertriebenen Lutheraner 1568 nach Bremen zurück. Sie werden siebzig Jahre später den Dom (dank Friedrich von Dänemark) als Pfarrkirche erhalten, der Rest von Bremen gehört den Reformierten. Bremens Bürgermeister Johan Smidt, hat sich, als er mit Boehlendorff nach Italien reiste, noch schnell in der Schweiz calvinistisch ordinieren lassen. Smidt ist im 19. Jahrhundert immer noch da, wo man im 16. Jahrhundert war. Er hasst die Lutheraner und die Juden und wird es noch schaffen, bis zum Jahre 1830 der lutherischen Domgemeinde den Status einer Gemeinde (inklusive ihres Vermögens und Grundbesitzes) vorzuenthalten. 

Meinen Heimatort Vegesack betraf das alles nicht. Zum dreihundertsten Jahrestag der Reformation am 31. Oktober 1817 schlossen sich da Reformierte und Lutheraner nach preußischem Vorbild zu einer Gemeinde zusammen: ein Gott, ein Christus, eine Gemeinde steht über der Tür der klassizistischen Kirche. Aber das war kein Vorbild für den Rest Bremens, 1840 und 1845 gab es wieder einen Kirchenstreit. Das, was zur Zeit von Daniel von Büren begonnen hatte, dieser Streit zwischen Reformierten und Lutheranern, geht durch Jahrhunderte weiter. Niemand ist dabei bedächtig. Bei der Gründung der Bundesrepublik wird man deshalb die Bremer Klausel ins Grundgesetz schreiben, damit es einen bekenntnisfreien Religionsunterricht geben kann. 

Der Wappenstein mit dem Bremen wes ghedechtich  late neict mer in dv beist öhrer mechtich anno domini 1562 ist heute im Focke Museum zu sehen. Repliken davon sind an einigen Bremer Schulen angebracht. Es gibt beim Bremer Weser Kurier auf der Seite WK Geschichte eine interessante Seite zu dem Wappenstein. Das war früher der Blog Bremen History, der leider eingegangen ist, aber jetzt beim Weser Kurier eine neue Heimat gefunden hat.

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Montag, 27. Januar 2025

Otto & Sohn


Den Kalender links auf dem Bild hat mir meine Cousine Hannelore zu Weihnachten geschenkt. Er enthält Bilder aus dem Buch Vegesack - Leben am Fluss in den 50er und 60er Jahren, das der Buchhändler Martin Marder und Kai Rücker, der Sohn des Photographen Helmut Schröder zusammen gestaltet haben. Es ist exklusiv bei der Buchhandlung Otto & Sohn in Vegesack erhältlich. Dass dieses Buch im Entstehen war, weiß ich, weil mir Martin Mader (der schon mehrfach in diesem Blog erwähnt wurde) einige Photos aus den fünfziger Jahren geschickt hatte, die ich noch nie gesehen hatte. 

Das Buch mit den nostalgischen Photos wird das letzte Buch der Firma Otto & Sohn sein, die vor vier Jahre Fritz Theodor Overbecks Büchlein Vegesack Du schönes Städtchen wieder aufgelegt hatte. Im Sommer des Jahres wird Martin Mader die Buchhandlung in der Breiten Straße, die es seit achtundneunzig Jahren gibt, schließen. Als Mader die Buchhandlung 1992 übernahm, war sie schon nicht mehr im Familienbesitz der Ottos. Aber es gab damals noch eine Buchhandlung Otto im Ort, nämlich die von Conrad Claus Otto. Das Adreßbuch für den deutschsprachigen Buchhandel vermerkte 1958, dass es hier zu Verwechslungen kommen könnte. Die Buchhandlung von C.C. Otto habe ich schon in dem Post Catch-22 erwähnt. Der junge Conrad Claus Otto (1931-2007) hatte 1955 in der Bismarckstraße (die heute Sagerstraße heißt) eine ganz andere Buchhandlung aufgemacht, die beste des Ortes. 

Es war eine erstaunliche Buchhandlung für so ein kleines Nest wie Vegesack, sie lebte natürlich von der Persönlichkeit des jungen Buchhändlers. Der auch noch die schönste Frau unserer Schule geheiratet hatte, kaum dass die achtzehn war. Sie hatten sich bei den Proben zu Hindemiths Oper Die Harmonie der Welt kennengelernt, bei denen unser Schulchor mitwirkte (wie sie hier lesen können). Seine Frau Doris hat aus Liebe zu ihm in Lübeck eine Buchhändlerausbildung gemacht. Conrad Claus Otto war für Bremen-Nord so etwas wie Eckart Cordes in Kiel, obgleich der Kieler Kulturpreisträger vielleicht noch mehr berühmte Autoren in seine Buchhandlung gelockt hat als Conrad Claus Otto in seine. Aber immerhin hatte er 1980 zum 25jährigen Bestehen der Firma Walter Kempowski als Gast. Doris Otto hat nach seinem Tod den Laden, der inzwischen in die Gerhard Rohlfs Straße umgezogen war, noch fünf Jahre weitergeführt, aber dann musste sie ihn schließen. 
 

Die Familie Otto war seit 1860 in Vegesack im Geschäft mit Büchern und Papier. Da hatte nämlich der Buchbinder Christoph Christian Otto (1831-1902) am Kleinen Markt in der Bahnhofstraße eine Buchbinderei, Papier- und Buchhandlung eröffnet. Die Bahnhofstraße, in der mein Opa mal wohnte, als er am Anfang des Jahrhunderts in den Ort kam, heißt heute Reeder Bischoff Straße; der Kleine Markt heißt heute Botschafter Duckwitz Platz. Benannt nach Georg Ferdinand Duckwitz, der hier schon in dem Post Arnold Duckwitz erwähnt wird. Die Postkarte ist hundert Jahre alt, Bäume gibt es da heute nicht mehr auf dem kleinen Platz, jetzt gibt es da einen Marktbrunnen. Die Buchhandlung, die noch bis Anfang der siebziger Jahre bestand, ist da irgendwo links auf dem Bild. Neben dem Uhrmacher Hugo Molgedei, bei dem meine Eltern mir meine Tissot Seastar gekauft haben. Ganz links, hier nicht mehr auf dem Bild, wohnte meine Tante Cilly.

Christoph Christian Ottos Sohn Albert (1905-1984) übernimmt von seinem Vater die Buchhandlung am Kleinen Markt, er wird sie bis in die 1970er Jahre behalten. 1960 gönnt sich die Firma zum hundertjährigen Bestehen noch eine kleine Festschrift. C.C. Ottos Sohn Theodor Otto (1867-1949) kauft 1905 die Buchhandlung von Carl Eduard Jantzen in der Breiten Straße. Die hatte es dort als Buchhandlung, Kunst- und Musikhandlung nebst Leihbücherei seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gegeben. Unter der Leitung von Theodors Sohn Christel Otto (1899-1966) bekommt die Jantzensche Buchhandlung in den 1920er Jahren den Namen Th. Otto & Sohn. Christel Ottos Ehefrau arbeitete in der Buchhandlung mit, sie hatte sogar Prokura. Sie kam aus der Familie von F. W. L. Borowsky, die unten neben der Post eine Druckerei hatte. Es ist eine praktische Sache, wenn Buchbinder und Drucker zusammenkommen.

Ich ging auf dem Schulweg jeden Tag an der Buchhandlung vorbei. Ich guckte selten in die Schaufenster. Viel interessanter war die Eisdiele von Chiamulera genau gegenüber. Die einzelnen Läden ds Ortes, bei denen es sich lohnte, in die Schaufenster zu gucken, waren Harjes und Karl Kass. Und Erich Maack, nicht wegen seiner Tochter Annegret. Wegen der Photoapparate. In meinen Träumen geh ich manchmal wieder die Breite Straße entlang. Wenn meine Eltern mich in den Laden schickten, weil sie dort etwas bestellt hatten, bekam ich immer eine Quittung mit, auf der Praxisbedarf stand. So etwas erkennt heute kein Finanzamt mehr an, aber damals ging das. Die Bücher, die ich da gekauft habe, unter anderem zwei Bände von Proust Recherche, haben alle noch dieses kleine grüne Etikett, auf dem Th. Otto  & Sohn steht. Als ich begann, englische Bücher bei ihnen zu bestellen, guckten sie mich in der Buchhandlung etwas missmutig an. Englische Bücher gab es vor über sechzig Jahren kaum in deutschen Buchhandlungen, auch nicht im amerikanisch besetzten Bremen. Die einzige Ausnahme war Marga Schoeller in Berlin, die eine große Abteilung für englische Bücher hatte. Aber Otto & Sohn bestellte mir knurrend die Bücher. Mein Exemplar von Walt Whitmans Leaves of Grass hat auch noch das kleine grüne Otto & Sohn Etikett eingeklebt.

Das hier war der Kommentar von Til Mette auf die Prämierung der Hansestadt als Literaturstadt Bremen. Das Sterben der Buchhandlungen hört nicht auf. Vor Jahren hat die traditionsreiche Buchhandlung Leuwer in Bremen zugemacht, jetzt schließt Otto & Sohn. Da bleibt im Ort nur noch Thalia, nicht die Muse der komischen Dichtung und der Unterhaltung, die Ladenkette. Aber wozu braucht man Buchhandlungen? Lesen tut der Bremer ja nicht so gerne, Klaus Groth wird das erfahren, wenn er eine Bremerin heiratet. Und schon vorher hat Friedrich Engels, Volontär in der Bremer Leinenhandlung H. Leupold, konstatiert: Eine Teilnahme an der fortlaufenden Literatur des Gesamtvaterlandes findet hier nicht statt: Man ist so ziemlich der Ansicht, dass mit Goethe und Schiller die Schlusssteine in das Gewölbe der deutschen Literatur gelegt seien, und lässt allenfalls die Romantiker noch für später angebrachte Verzierungen gelten. Und im gleichen Jahr 1840 sagte Arnold Duckwitz: Ein Lesen, Studieren und Forschen ohne praktischen Zweck ist hier nicht zu Hause und muss da gesucht werden, wo man die Zeit hat.

DiNachricht von der drohenden Schließung der Buchhandlung hat Aufsehen erregt, auch über Bremen hinaus. Jan Böhmermann hat in seinem Podcast  geschrieben: Otto & Sohn ist eine Institution. Wenn wir solche Buchhandlungen verlieren, verlieren wir ein Stück unserer Kultur und Gemeinschaft. Vielleicht gibt es noch eine klitzekleine Chance, dass Martin Mader das Geschäft nicht im August schließen muss.

Wenn das mit dem Sterben der Buchhandlungen so weitergeht, dann wird sich meine schöne Buchhändlerin nach einem neuen Beruf umsehen müssen.

Die Buchhandlung Otto & Sohn war schon häufiger in diesem Blog, so in den Posts die örtlichen BuchhandlungenNobelpreisträgerLiteraturstadt Bremensilvae: Wälder: LesenEine Liebe von SwannGeistiges Bremen und Buchhändler


Freitag, 29. November 2024

Vegesack

Das kleines Kaff Vegesack, aus dem ich komme, hat es einmal geschafft in die große Literatur zu kommen. Der Held des 'psychologischen Romans' Anton Reiser von Karl Philipp Moritz erlebt 1786 den Anblick des Vegesacker Hafens mit den Schiffen als unbeschreiblich ergötzlich: Den Nachmittag erreichte er Vegesack und betrachtete hier mit hungrigem Magen, was er noch nie gesehen hatte, eine Anzahl dreimastiger Schiffe, die in dem kleinen Hafen lagen. – Dieser Anblick ergötzte ihn ohngeachtet des mißlichen Zustandes, worin er sich befand, unbeschreiblich – und weil er an diesem Zustande durch seine Unbesonnenheit selber schuld war, so wollte er es sich gleichsam gegen sich selber nicht einmal merken lassen, daß er nun damit unzufrieden sei. Den Hafen, den Moritz in seinem Roman erwähnt, gab es damals schon hundertfünfzig Jahre, es ist der älteste künstliche Hafen Deutschlands. Von Holländern angelegt, die konnten so etwas. Die Bremer, die den Vegesacker Hafen dringend brauchten, weil die Weser versandet war, hätten das nicht hinbekommen.

Mein Heimatort Vegesack, über den Friedrich Engels sagte, Vegesack ist die Oase der bremischen Wüste, ist von Anfang an in diesem Blog gewesen. Mein Freund Konny hat mir im letzten Jahr gesagt, ich würde so viel über den Ort schreiben, da könnte ich doch ein Buch draus machen. Ich machte erst einmal etwas anderes, ich machte einen Vegesack Blog, der die schöne Adresse nordbremenamfluss hat. Und in diesen Blog muss ich jetzt eine kleine Hymne auf den Ort hineinschreiben, die ganz neu ist. Sie heißt ✺Vegesack und wird von Jan Böhmermann gesungen. Der war schon zweimal in meinem Blog, er wird in den Posts Erdogan und Oase in der bremischen Wüste erwähnt. In dem letztgenannten Post können Sie auch lesen, dass Böhmermann gar nicht aus Vegesack kommt, der kommt aus Aumund. Das sollte man der Genauigkeit halber vermerken. Aber hören Sie einfach mal in den Song hinein, der so schöne Verse enthält wie: Wer braucht Paris, New York und Ankara, schaffst du es hier, kommst du überall klar. Vegesack! Oh du, mein Vegesack.

Donnerstag, 8. August 2024

die kleinen Dinge

Ich besitze seit Jahrzehnten eine kleine schwarze Holzschale, die ein wenig so aussieht wie diese Schale von dem Designer Simon Legald. Es war ein Geschenk meiner Mutter. Ist von Harjes, hatte sie dazu gesagt. Harjes bedeutete im Ort etwas. Den Kunsthandwerk Laden von Harjes in der Sagerstraße (unten zur Hafenstraße hin) liebte sie. Alles im Haus, was aus Bronze, Kupfer oder Messing war, stammte von Harjes. Meine kleinen Schnapsgläser auch. Ich hatte keine richtige Verwendung für die Schale, obgleich mir der Name Harjes hätte sagen sollen, dass dies hier ein Designobjekt war. Ich stellte sie auf die Fensterbank und füllte sie mit allerlei Krimskrams.

Beim Frühjahrsputz habe ich jetzt einmal alles aus der Schale herausgenommen und die Schale mit Möbelpolitur behandelt, da war sie wieder wie neu. Und da merkte man ihr an, dass es nicht nur eine simple Schale war, sondern eigentlich ein Kunstobjekt. Sorgfältig gedrechselt, alle Fasern des Holzes parallel. Meinem Freund Uwe, der Kunstprofessor war, würde das gefallen. Bevor er der deutsche Keramikspezialist wurde, hat er Holzarbeiten gemacht und mir erklärt, worauf es beim fachmännischen Verarbeiten ankommt. Dierk Böckenhauer, der Mitglied im Bundesverband Kunsthandwerk ist, wusste, was er machte, als er meine schwarze Schale gedrechselt hat. Eine richtige Verwendung für die Schale habe ich immer noch nicht, jetzt ist sie einfach nur schön, a thing of beauty is a joy forever.

Die Geschichte der Firma Harjes beginnt 1912, als der Gürtlermeister und Metallbildhauer Friedrich (Fidi) Harjes seine Firma aufmacht. Nach dem Ersten Weltkrieg ist er nach Worpswede auf Heinrich Vogelers Barkenhoff gezogen und hat auch in der Worpsweder Arbeitsschule mitgearbeitet. Vogeler hat Harjes einen seiner fleißigsten Mitarbeiter genannt, er brauchte ihn, weil er hoffte, dass mit den Produkten der Metallwerkstatt etwas Geld in die leeren Kassen der Künstlerkommune kommt. Doch Harjes verlässt 1922 den Barkenhoff und zieht nach Bremen. Man trennt sich in Freundschaft, wie es auf dieser informativen →Seite der Firma Harjes heißt.

Aber in Wirklichkeit hasst Vogeler den Anarcho-Syndikalisten und fanatischen Vegetarier inzwischen. Hier hat er ihn 1919 mit Frau und nackten Kindern portraitiert, Arbeitsschule Barkenhoff heißt das Bild. Es sind keine Schweine auf dem Bild, aber es waren mal Schweine auf dem Bild. Die hat Vogeler auf Verlangen des Vegetariers Harjes übermalen müssen. Harjes ist für Vogeler zu einem Zertrümmerer geworden: wir setzen alle Mittel daran ihn loszuwerden, schreibt er. Das Verhältnis war schon vorher gespannt, wie man Vogelers Brief an den Pazifisten Pierre Ramus aus dem Jahre 1921 entnehmen kann: Fidi ist das kritische Element auf dem Hofe und bedeutet wohl das beste Gegengewicht in seiner scheinbaren Negation zu Vogeler, der, zu sehr im Zukünftigen verankert, das naheliegende der täglichen Wirklichkeit manchmal übersieht. In Vogelers 1952 (auf Wunsch von Wilhelm Pieck) veröffentlichten Erinnerungen gibt es ein Kapitel, das Zersetzungserscheinungen heißt, von Freundschaft zwischen ihm und Fidi ist da nicht mehr die Rede.

Harjes wusste, dass er in der Kommune von Vogeler nicht weiterkam. Vogeler wird ihm nie verzeihen, dass er alles Werkzeug und Gerät aus seinem Studio mitgenommen hat, Vogeler betrachtete das als Besitz der Kommune. Im 1925 erschienenen Katalog Kunst und Kunstgewerbe in Worpswede wird Harjes nicht erwähnt. Der Mann, den Vogeler immer als den Metallarbeiter bezeichnete, hatte sich in Bremen schon einen Namen gemacht; er macht jetzt große Arbeiten für das Chilehaus in Hamburg und für die Bremer Baumwollbörse, deren Präsident Dr A.W. Cramer sein Mäzen wird und ihm die neue Werkstatt in St Magnus finanziert. Wenn die Baumwollbörse ihrem Präsidenten 1930 zum fünfundsiebzigsten Geburtstag gratuliert, dann ist die Bronzemedaille wohl von Fidi Harjes. Die Metallkunstwerkstatt Harjes gibt es heute in der vierten Generation immer noch. Die Werkstatt ist heute in Meyenburg, den Laden in Vegesack hat man aufgegeben. Meine bei Harjes gekaufte schwarze Schale steht inzwischen auf meinem Schreibtisch, ich lege meine Lesebrille da rein, dann weiß ich immer, wo sie ist.

Die kleinen Dinge des Alltags, dazu habe ich ein kleines Gedicht. Es ist von William Carlos Williams und heißt This Is Just To Say. Wahrscheinlich war es mal ein Zettel, den der Dichter seiner Frau auf den Küchertisch gelegt hat:

This Is Just To Say 

I have eaten
the plums
that were in
the icebox

and which
you were probably
saving
for breakfast

Forgive me
they were delicious
so sweet

and so cold

Tagesausflug

Du hast ja immer viel photographiert, sagte Frank. Gute Bilder, schob er nach. Das war nett. Photographierst Du noch? Was soll man da sagen? Das Desaster von dem Kindergeburtstag erwähnen, wo die Kiddies nach dem Knipsen kein Bild in der Kamera sehen konnten? So etwas kann eine Exakta noch nicht. Und ein großer Gossen Belichtungsmesser ist keine Minikamera. Ich rede mit Frank über das Bild, das ich auf der Fahrt nach Helgoland von ihm gemacht habe. Über die Reling hängend und grün im Gesicht? Nein, nichts davon, Frank scheint auf dem Bild mit einer Kabinentür zu kämpfen, die nicht aufgehen will. Wir sind jenseits von Rote Sand, die Wellen sind kabbelig geworden, und der Wind hat aufgeböt. Da werden heute noch viele seekrank werden, die ganze Schule ist an Bord. Der Direktor hat ein Schiff gemietet, sein Stellvertreter Willy Klevenhusen macht die Organisation. Eltern dürfen auch mitfahren. Der beste Schulausflug aller Zeiten, viel besser als die staatstragende Busreise an die Zonengrenze bei Helmstedt. Leider kaum Mädels an Bord, Koedukation kommt bei uns erst im nächsten Jahr (wir sind für Philip Larkins Annus Mirabilis noch zu früh dran).


Wir stechen nicht von Bremerhaven aus in See. Nein, wir gehen in Vegesack vom Anleger neben dem Ruderverein an Bord, dann geht es die ganze Unterweser entlang. Sieht man sonst nur vom Segelboot oder dem Schreiber Dampfer aus. Ist für viele auch gut, sich an das Schiff zu gewöhnen. Wem in Oberhammelwarden schon schlecht ist, der wird in der Nordsee Schwierigkeiten haben. Das Portrait von Frank habe ich auf 13x18 vergrößert, habe ich mit allen guten Bildern gemacht. Er hat gar nicht gemerkt, dass er photographiert wurde, so sollen Portraits sein. Ich kriege an dem Tag beinahe die ganze Schule auf zwei Filme. Natürlich alles in schwarz-weiß, noch sind wir kleinen Nachfolger von Henri Cartier-Bresson echte Puristen. Und ein Gelbfilter ist heute bei dem Himmel auch angebracht.

Ich photographiere mich langsam über das ganze Oberdeck, ich kann mich heute noch mit jedem Photo an jeden Augenblick der Reise erinnern: Lehrer auf Deckstühlen, wie unser Klassenlehrer Gustav Renziehausen (von dem ich das Gerücht in die Welt setze, dass er mit Eva Renzi verwandt ist). Neben ihm unser Lateinlehrer, der etwas liest, das eher nach einem schlimmen Krimi als nach Sallust aussieht (dass er ein Nazi gewesen war, wusste damals niemand). Unser erster Klassenlehrer am Gymnasium, Hermann Bollenhagen, ist im Gespräch mit Volker Harjehusen, der Kapitän werden wird. Massenhaft Freunde und Mitschüler. Peter Umlandt beim Skatspielen, Peter Köpp, elegant in seinem weißen Norwegerpullover mit braunen Mustern drauf und dann unser neuer Mitschüler, dessen Vater das Lokal Meyer-Farge-Schiffsansage gepachtet hat. Auch manche Eltern sind auf den Bildern. Ulis Vater, der bei der Kriegsmarine ein tolles U-Boot Fernglas, dick mit hellgrünem Gummi ummantelt, geklaut hat. Und meine Mutter beim Skatspielen mit Schülern. Da machen jetzt mal andere die Erfahrung, wie das ist, wenn man mit einer Frau Karten spielt, die notorisch schummelt. Ist mir auch lieber, dass sie Karten spielt, als wenn sie Kleine Möwe, flieg nach Helgoland singt.

Jeder redet jetzt mit jedem, ein richtiges Gemeinschaftserlebnis, es gab ein Leben vor dem Mobiltelephon. Auf der Rückfahrt werden tolle Geschichten erzählt, wie man den Zoll ausgetrickst hat. Unserem Englischlehrer Toni Winkelsesser soll die geschmuggelte Flasche Whisky aus dem Mantel gerutscht und am Boden zerbrochen sein. Ein anderes Opfer des Whiskyschmuggels soll Bernd Neumann gewesen sein, der aus lauter Angst vor der Entdeckung beim Zoll eine halbe Flasche Whisky ausgetrunken hat. Soll dann besinnungslos auf der Rückreise auf dem Oberdeck gelegen haben. Hat mir Uwe erzählt, der Bernd auf den Tod nicht ausstehen kann. Stimmen könnte die Geschichte schon, der Bernd war furchtbar doof. Hindert ihn nicht daran, Politiker zu werden.

Irgendwann werde ich das Photo mit der Kabinentür und Frank mal kopieren und dem Frank schicken. Wäre ja auch schön, wenn ich es hier einscannen könnte. Bin aber nicht intelligent genug dafür. Heike hat mir vor zwei Jahren den Scanner geschenkt, kann ich immer noch nicht mit umgehen. Habe auch kein I-Phone und kein Handy, läuft alles an mir vorbei. {Jetzt habe ich dank der netten Leute von Gut Gedruckt im Knooper Weg das Photo doch endlich}. Und was machst Du so? fragt der Frank. Was der Frank macht, weiß ich, hat mir Peter Umlandt vor Jahren erzählt. Ja, was mache ich? Das halbe Leben an der Uni, jetzt Blogger. Blogger kann alles oder nichts heißen, deshalb übertreibe ich mal eben: Ich schreibe einen des besten deutschen KulturblogsKommt meine Tochter drin vor? fragt Frank. Nur dann ist das ein guter Kulturblog. Da hat er mich. Woher soll ich wissen, dass seine Tochter Anna die Tanzdramaturgin am Frankfurter Mousonturm ist? Und dass der Sohn an der polnischen Filmakademie (ein Nachfolger von Wajda und Polanski?) studiert hat?

Nunc pede libero pulsanda tellus, wofür waren wir die Lateinklasse? Es wird zu wenig getanzt in diesem Blog. Es gibt Posts, die Fontane tanztRattenTänzerTango oder Abtanzball heißen, doch das ist nicht viel. Aber immerhin wird jetzt bei mir Anna Wagner erwähnt.

Mittwoch, 7. August 2024

Arnold Duckwitz

Harry von Duckwitz liebt die schönen Frauen und den Jazz. Er ist im diplomatischen Dienst, steigt da aber früh im Leben aus. Harry ist ein charmanter, scharfzüngiger Versager und Tunichtgut. Wir kennen ihn aus drei Romanen. Seine Lieblingstitel kann man auf den drei CDs Wie man mit Jazz die Herzen der Frauen gewinnt hören. Zusammengestellt nach dem Geschmack des legendären Frauenhelden Harry von Duckwitz, dem Held aus Joseph von Westphalens Romanen "Im Diplomatischen Dienst", "Das schöne Leben" und "Die bösen Frauen" Harry von Duckwitz kennt Titel, die selbst ausgewiesene Jazz-Hasserinnen weich werden lassen, steht auf dem Schuber. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob man mit den CDs wirklich Frauen rumkriegen kann. Das, was der Dr Achim Körnig mir auf CDs gebrannt hat (und was man mal vor Jahren in seiner Sendung namens Round Midnight bei einem bayrischen Privatsender hören konnte), ist viel besser.

Es war dem alter ego von Harry von Duckwitz, dem Grafen Joseph von Westphalen, der die drei schönen Duckwitz Romane geschrieben hat, später etwas peinlich zu erfahren, dass es wirklich einmal einen Duckwitz im diplomatischen Dienst gegeben hatte. Der hieß Georg Ferdinand Duckwitz, er kam aus einer alteingesessenen Bremer Familie und war Jahrzehnte im diplomatischen Dienst gewesen. Dann holte man ihn aus dem Ruhestand zurück. Der parteilose Duckwitz, der jetzt in Lesum in einem von Ernst Becker-Sassenhof gebauten Haus wohnte, wurde außenpolitischer Berater von Willy Brandt. Jetzt konnte er in der Ostpolitik das durchsetzen, was ihm Konrad Adenauer einst nicht erlaubt hatte.

1958 hatte der Außenminister Heinrich von Brentano Duckwitz als Leiter der Ostabteilung in das Bonner Auswärtige Amt geholt.  Duckwitz machte seine seine ganz eigene Ostpolitik, die wenig mit Adenauers Politik zu tun hatte. Adenauer feuerte ihn. Duckwitz wurde nach Neu Delhi versetzt. Wo er sich die Zeit damit vertrieb, die Lebensgeschichte des Kollegen Edmund F. Dräcker um einige Kapitel zu bereichern. Humor hatte er. Von ihm ist der schöne Satz überliefert: Adenauer haßt nur drei Dinge: die Russen, die Engländer und das Auswärtige Amt. Als er aus dem Ruhestand nach Bonn zurückkam, sagte er zu den Journalisten der Pressekonferenz: Wer mich für klug hält, sagt zu mir "Herr Doktor Duckwitz'; wer mich für fein hält, sagt "Herr von Duckwitz'; und wer was von mir will, sagt "Herr Doktor von Duckwitz." Aber ein von Duckwitz war er wirklich nicht, und sein Leben hatte nun ganz und gar nichts mit unserem Schwerenöter Harry von Duckwitz zu tun.

Dieser Duckwitz ist einer der Männer, die einem den Glauben an Deutschlands Zukunft wiedergegeben haben, hat der dänische Ministerpräsident Hans Hedtoft Hansen einmal über Georg Ferdinand Duckwitz gesagt. Ist es denn erstaunlich, daß wir diesen Mann so hochschätzen und meinen, unendlich tief in seiner Schuld zu stehen? Ich meine nicht allein politisch und national, sondern auch menschlich. Er gab uns mitten in einer dunklen, bösen und brutalen Zeit ... eine Bestätigung dafür, daß es auch unter den Deutschen noch Menschen, mutige und denkende Männer gab. Duckwitz hatte ihm im September 1943 anvertraut, dass die Deportation der dänischen Juden (die er vergeblich zu verhindern versucht hatte) unmittelbar bevorstehe.

Und noch vor Kriegsende hat Duckwitz in Verhandlungen mit Schweden, dem deutschen Statthalter in Dänemark Werner Best und mit dem Hamburger Gauleiter Kaufmann erreicht, dass die Deutschen in Dänemark und Schleswig-Holstein kampflos kapitulierten. Dies ist einer jener glücklichen Augenblicke, der mir die wohltuende Gewißheit gibt, nicht umsonst auf der Welt zu sein, vertraute er einem Freund an. Der dänische Historiker Hans Kirchhoff hat ihm in seinem Buch Den gode tysker ein Denkmal gesetzt. Eine Kurzfassung (mit Bildern) finden Sie hier in der Gedenkschrift des Auswärtigen Amtes für Georg Ferdinand Duckwitz. Es lohnt sich, das zu lesen.
Die Dänen haben Duckwitz für seine Verdienste mit dem Komturkreuz des Danebrog Ordens geehrt. Und das Holocaust Zentrum Yad Vashem zählt ihn zu den Righteous Among The Nations. In der Villa Frieboeshvile in der Hovedgade 2 von Lyngby hatte Duckwitz seit 1941 gewohnt. Er hat die Wohnung bei Kriegsende nicht aufgegeben, Kopenhagen lag ihm am Herzen. 1955 ist er dort deutscher Botschafter geworden. Für Theo Sommer war er in einem Nachruf eine der nobelsten Gestalten unseres diplomatischen Dienstes, dem ist wenig hinzuzufügen.

Der Urgroßvater des deutschen Botschafters in Dänemark hieß Arnold Duckwitz (Bild). Er wurde am 27. Januar 1802 in Bremen geboren. Er war Kaufmann und wurde bald der Führer und Flügelmann der Kaufmannschaft und Präsident der Bürgerschaft. 1841 wurde er Senator, und 1848 wurde er als einer der beiden Vertreter Bremens nach Frankfurt entsandt. Dort ernannte ihn der Reichsverweser Erzherzog Johann von Österreich zum Reichshandelsminister. Und er baute, weil man ihn auch noch mit dem Marinedepartement betraute, die Reichsseewehr der deutschen 48er Regierung auf. Die dann - das ist nach dem oben zu Duckwitz und Dänemark Gesagten ein klein wenig ironisch - gegen die dänische Flotte kämpfte.

Das mit Arnold Duckwitz weiß ich, seit ich lesen kann. Denn über dem Eingang des großen Hauses bei uns gegenüber, in dem das Fräulein Carla Hockemeyer mit ihren Dackeln wohnte, war eine Steintafel, auf der stand: Auf diesem Landsitz wohnte Arnold Duckwitz 1802 bis 1881 Bürgermeister von Bremen 1848 Reichshandelsminister in Frankfurt a.M. Gründer der ersten deutschen Reichskriegsflotte. Von dem Haus gibt es keine Abbildung im Internet (jetzt habe ich dank Pastor Ingbert Lindemann eine), auch in der Datenbank des Landesdenkmalamtes gibt es keine. Man könnte glauben, dass es den repräsentativen Landsitz mit Blick auf die Weser niemals gegeben hat. Aber im Einwohnerverzeichnis der Gemeinde Vegesack von 1856 steht: Duckwitz, Arnold, Senator in Bremen, Sommerwohnung, Weserstr. 76 u. 77. Und das Landhaus ist natürlich in Rudolf Steins Klassizismus und Romantik in der Baukunst Bremens abgebildet.

Arnold Duckwitz (hier ist er auf einem etwas schief hängenden Gemälde in der Wandelhalle des Bremer Rathauses) hat in der Deutschen Biographie einen Eintrag, der natürlich viel besser ist als der Wikipedia Artikel, und die Bremischen Biographien des 19. Jahrhunderts widmen ihm einige Seiten. Obgleich er die erste deutsche Flotte aufgebaut hat, habe ich vor seinem Haus nie eine Delegation der deutschen Bundesmarine gesehen. Wir haben es da wohl nicht so mit der Tradition wie die Engländer mit ihrer Royal Navy. Der junge Hockemeyer, der den Duckwitzschen Landsitz erbte, hat ihn abreißen lassen. Stand zwar unter Denkmalschutz, aber wen kümmert das? Gab eine Konventionalstrafe und einige Jahre Bauverbot, das schlägt man doch auf die Preise der Eigentumswohnungen der beiden Apartmenthäuser auf, die dann da gebaut wurden. Er war als Kind das, was man in Köln 'ne fiese Möpp nennen würde. Heute gilt er laut Wikipedia als hanseatischer Mäzen. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Das Buch von Duckwitz Denkwürdigkeiten aus Meinem Öffentlichen Leben. Von 1841-1866: Ein Beitrag Zur Bremischen Und Deutschen Geschichte hat er bestimmt nie gelesen.

Lesen Sie auch: ➱Admiral Brommy.

Bremer Klausel

Der hier konnte gehen, weil er eine Ausstiegsklausel in seinem Vertrag hatte. Mit seinem Ausstieg begann Werders Abstieg. Aber diese Klausel ist nicht mit dem Begriff Bremer Klausel gemeint. Sondern etwas viel Ernsthafteres als ein dahin torkelnder Fußballverein: nämlich das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das am 23. Mai 1949 um 24 Uhr in Kraft trat. Auf jeden Fall in Trizonesien.

Art 141: Artikel 7 Abs. 3 Satz 1 findet keine Anwendung in einem Lande, in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand, heißt es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Der Artikel 7 Absatz 3 lautet: Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen. Sie werden sich jetzt fragen, wozu man den Artikel 141 überhaupt brauchte. Die Antwort ist einfach: für die Hansestadt Bremen. Es ist die sogenannte Bremer Klausel

Es gibt noch eine andere Bedeutung des Begriffes Bremer Klausel, die hat aber nichts mit der Religion zu tun. Die bedeutet nur, dass Bremer Kaufleute in der Vergangenheit Verträge nicht schriftlich festhielten, sondern mit einem Handschlag besiegelten. Von solch schlichter Ehrlichkeit träumt man ja heute. Heute braucht man für jeden Vertrag Juristen, und auch der Artikel 141 des GG hat schon viele Juristen beschäftigt. Wenn Sie den Wikipedia Artikel Bremer Klausel lesen, können Sie einen Eindruck von der Materie bekommen. Da gibt es einen möglichen Widerspruch zu den schulrechtlichen Bestimmungen des Art. 21 des Reichskonkordats bis zu der Frage der Reichweite der Bremer Klausel.


Unter den 47 Lehrkräften (42 evangelisch, 5 katholisch) meiner Schule gab es nur einen Religionslehrer. Also musste der Pastor mit ran, der bekam einen Lehrauftrag (da war es nur praktisch, dass die Schule gleich neben der Kirche lag). Der Religionslehrer war pädagogisch die größte Flasche der Schule. Er ist später Professor an der neugeschaffenen Universität Bremen geworden. Bekam (ohne dass er promoviert oder habilitiert war) den Titel eines Professors. Genauer: Professor für Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Didaktik des Religionsunterrichts (bzw. Biblische Geschichte), Theorie und Praxis des Unterrichts und Pädagogische Anthropologie. Für das, was er dem Namen nach vertrat, gab es wohl keinen Ungeeigneteren. Ich verkneife mir das jetzt mal, dazu noch irgendetwas zu sagen. Das mit den 47 Lehrern weiß ich so genau, weil ich einmal antiquarisch mehrere Bände des Philologen-Jahrbuchs (auch Kunzes Kalender genannt) gekauft habe. Wunderbar für Klatsch und Tratsch, jeder Lehrer ist drin, mit allen Daten (heute gibt es das aus Datenschutz Gründen nicht mehr in dieser Form). Natürlich auch dem Glaubensbekenntnis. Wenn ich meinem alten Klassenlehrer eine Geburtstagskarte schreiben will, weiß ich, wo ich nachzugucken habe.

Mein Klassenlehrer wird in diesem Jahr 87, ist aber noch gut drauf. Auf den Photos vom letzten Klassentreffen sieht er noch richtig jugendlich aus. Zu Weihnachten haben wir eine Stunde lang telephoniert. Er hat sich in diesem Monat mit einer anderen Klasse zur Vierzigjahrfeier des Abiturs  getroffen. Der Jürgen, dem er privat Mathematik Nachhilfe gegeben hat, wollte auch kommen. Der Jürgen hat einen vollen Terminkalender, weil er Spitzenkandidat seiner Partei ist. Früher sei er ein ganz braver Schüler gewesen, hat der Gustav gesagt. Gustav und ich wir duzen uns jetzt, dafür sind wir alt genug. Ich habe ihn auch schon einmal im Blog erwähnt, als ich über meinen Klassenkameraden Wuddel schrieb (das hat er natürlich gelesen). Ob er sich mit dem Jürgen auch duzt, das weiß ich nicht. Der Gustav sieht immer noch das Gute in allen Menschen.

Andere Lehrer haben vom Jürgen aber eine ganz andere Meinung. Angeblich soll er schon mit vierzehn ein Revoluzzer gewesen sein und sich an den Hermann Rademann rangeschmissen haben, der in Bremen die Revolution machte. Ich habe den schon einmal im Blog erwähnt. Wenn Sie wissen wollen, wie das in den sechziger Jahren mit der Revolution in Bremen war, lesen Sie doch einmal den langen Post, der Heinrich Hannover heißt. Mit Hermann Rademann war ich in der Evangelischen Jugend. Also bevor er Revolutionär wurde und sich dann den Kopp wegkokste. Der Jürgen bezeichnet sich heute als gottlos. Hat unser liberaler Religionsunterricht, der in der Oberstufe eher einem Philosophie Proseminar glich, das bewirkt? Immerhin hat der Jürgen bei der Beerdigung seines Vaters in der Kirche die Trauerrede gehalten. Wollte das der Pastor nicht, weil der Vater vom Jürgen in der NSDAP und der Waffen SS gewesen war? Das waren doch so viele in dem Kaff. Unsere Schulzeitung mit dem Namen Echo hat mal einen Artikel aus dem Neuen Deutschland abgedruckt. Darin stand sorgfältig aufgelistet, wer von den Vegesacker Geschäftsleuten in der NSDAP und in der SS gewesen war. Es war der Schulleitung sehr unangenehm, aber sie hat den Abdruck nicht verhindert. Die Pressefreiheit der neuen deutschen Demokratie war für den Direktor ein höheres Gut als die Vermeidung eines Skandals in einem Bremer Vorort.

Die Bremer Klausel im Grundgesetz sichert eine Klausel der Bremer Landesverfassung ab, wonach in Bremen kein religionsgebundener Unterricht erteilt werden darf. Womit man ursprünglich einmal die zwei wichtigsten Bremer Religionen versöhnen wollte. Nein, nicht Kaffee- und Rotweinimport, sondern - lachen Sie jetzt bitte nicht - reformierte und lutherische Gläubige. Ich weiß nicht, ob es wirklich noch eine dritte Gruppe gab, es gab ja Leute, die lutherisch als luthérisch aussprachen. Aber ich glaube, das waren nur Lutheraner (oder Luthéraner?), die sich einbildeten, was Besseres zu sein. Hinter diesem latenten protestantischen Glaubenskampf im 19. Jahrhundert steht ein Bremer Hassprediger namens Johann Smidt. Der Theologe, Pfarrer und Politiker ist natürlich reformiert. Weil man in Bremen eben, auf jeden Fall nach Johann Smidt, reformiert ist. Weil die ganzen religiösen Spinner, die die Holländer in der Reformationszeit nicht mehr haben wollten, nach Bremen gegangen sind. Wenn sie nicht nach Münster gingen wie Bernhard Knipperdollinck. Und in einem eisernen Käfig am Turm von St. Lamberti aufgehängt wurden. Ich vereinfache das jetzt etwas, aber seit Heinrich von Zütphen (Bild oben) in Bremen gepredigt hat - und seit Daniel von Büren (der bei Luther und Melanchthon studierte) Bürgermeister wurde - ist Bremen reformiert.

Das mit den theologischen Spinnern in Bremen hat übrigens mit der Reformation nicht aufgehört. Der Bischof von Hitlers Gnaden  Heinz Weidemann, der damals den Dom so hübsch dekorieren ließ und eine Bremer Kirche in Horst Wessel Kirche umtaufen wollte, war zweifellos ein Fall für die Psychiatrie. Und auch der Pastor Georg Huntemann, der sich nach dem Gottesdienst an der Kirchentür den Ring an der Hand küssen ließ, war nicht so ganz schussecht. Selbst die Vegesacker Kirche wird eines Tages einen Pastor haben, der - sagen wir es zurückhaltend - sehr exzentrisch ist. Ein Gottesdienst für Hunde im Stadtgarten gehört da noch zu den kleinsten Exzentrizitäten. Ich möchte jetzt nicht den Eindruck erwecken, dass die Hirten der Bremer Kirchengemeinden nur aus Spinnern bestanden. Wir hatten in Bremen auch einmal einen Emil Felden.

Johann Smidt, der aus mir nicht bekannten Gründen für Bremens größten Politiker gehalten wird, kann die Lutheraner überhaupt nicht ausstehen, die kommen für ihn gleich nach den Juden. Und obgleich eine Vielzahl der Bundesstaaten des 1815 errichteten Deutschen Bundes die reformierten Kirchen mit den lutherischen vereinen, bleibt Bremen unter calvinistischem Einfluss. Erst mit der Einführung eines gemeinsamen Gesangbuchs im Jahre 1873 gab es eine (Verwaltungs-) Union zwischen lutherischen und reformierten Gemeinden. Das betraf meinen Heimatort Vegesack nicht, zum dreihundertsten Jahrestag der Reformation am 31. Oktober 1817 schlossen sich da Reformierte und Lutheraner (nach preußischem Vorbild) zu einer Gemeinde zusammen: ein Gott, ein Christus, eine Gemeinde steht über der Tür der neuen klassizistischen Kirche. Ach, was wäre die Welt schön, wenn das alle glauben würden. Aber das, was Freud in Das Unbehagen in der Kultur so schön den Narzissmus der kleinen Differenzen genannt hat, ist offensichtlich stärker als jeder Einigungsgedanke.

Wenn der Hass von Johann Smidt auf die Lutheraner vielleicht nur lächerlich ist, sein Hass auf die Juden ist es nicht. Er betreibt auf dem Wiener Kongress die juristischen Grundlagen für die Fremdkörper in einem christlichen Staatswesen. Fälscht eigenmächtig die letzte Fassung der Beschlüsse, was für die Bremer Juden bedeutet, dass sie ihre Emanzipation, die Napoleon ihnen eingeräumt hatte, wieder verlieren. Und versichert dann den österreichischen Delegierten: Wir möchten gerne mit der ganzen Welt in Frieden leben, die Juden sind aber ein beständiges Ferment um Unfrieden mit anderen Staaten zu veranlassen, deshalb zeuge es von unserer guten und friedlichen Gesinnung, wenn wir sie los zu werden suchten. Es wird ihm in den 1820er Jahren gelingen. Er wird es auch noch schaffen, bis zum Jahre 1830 der lutherischen Domgemeinde den Status einer Gemeinde (inklusive ihres Vermögens und Grundbesitzes) vorzuenthalten.

1798 erscheint in Bremen die revolutionäre Schrift Vorstellung an Bremens patriotische und edelgesinnte Bürger die Errichtung einer Bürgerschule betreffend der Pastoren Johann Ludwig Ewald und Johann Caspar Häfeli. Die beiden Herren sind zwar auch calvinistische Theologen, aber sie sind stark von Pestalozzi beeinflusst und erfinden ein Reformmodell, in dem reformierte und lutherische Schüler gemeinsam unterrichtet werden. Nicht mehr in Religion, sondern in Biblischer Geschichte. Und dieses Fach wird man in Bremen 1947 in die neue Landesverfassung hineinschreiben. Und da man den konfessionsunabhängigen Unterricht in Bremen nicht aufgeben möchte, muss die neue Republik 1949 in das Grundgesetz die Bremer Klausel, den Artikel 141, einfügen. Bremen ist nicht das einzige Bundesland, das einen konfessionsübergreifenden Religionsunterricht anbietet, in Berlin gibt es so etwas auch. Und in Schleswig-Holstein will die neue Regierung, horribile dictu, das auch einführen. Schon titelten die Kieler Nachrichten Online vor einem Jahr: Der Glaubenskampf um den Religionsunterricht geht in eine neue Runde. Laut Koalitionsvertrag soll das Schulfach Religion vom Bekenntnis gelöst und konfessionsübergreifend gestaltet werden. Für die christlichen Kirchen ein Schock. Glaubenskampf, Schock, man fasst es nicht. War die Aufklärung des 18. Jahrhunderts ganz umsonst?

Hat unser Jürgen vom konfessionsunabhängigen Bremer Religionsunterricht etwas mitgenommen? Nach seinen eigenen Erinnerungen (dargelegt in: Der Stadtgarten in Vegesack auf Seite 36) hat er die Schule ständig  geschwänzt: Unten an der Weser war es heiß. Das hatte seine Gefahren. Tiroler Landwein, Wermut oder gar schlimmere Drogen wie etwa Kosakenkaffee entfalteten so eine ganz tückische Wirkung. Aber auch dafür war der Stadtgarten ein angenehmer Ort. Man lag, statt in der Schule zu sein, einfach in der Sonne, die Weser plätscherte. Wenn ein Schiff vorbeirauschte, klatschten Wellen an den Strand. Wer zu nahe dran lag, wurde nass, oder was ärgerlicher war, der 'schwarze Krauser'. So konnte man dem Mittag entgegensehen. Ja, man kann Gott auch in der Natur begegnen, das nennen wir doch mal einen angewandten Pantheismus. Mit Tiroler Landwein, Wermut und Kosakenkaffee. Da können wir nur froh sein, dass ihm seine Partei noch eine halbe Theologin zur Seite gestellt hat.

Bremen wes bedächtig

Man schnappt Sprüche und Sätze auf, wenn man jung ist. Und behält sie fürs Leben.  Was'n in Bremen so sacht un wo ein fein auf hören muß...